Es kann ganz leicht passieren. Die Sonne wärmt uns die Haut, vielleicht blättern wir auch gerade durch Urlaubsfotos aus der Zeit vor der Pandemie – und plötzlich regt sich etwas in uns. Diese große Sehnsucht nach dem Meer. Sie kommt aber nicht etwa daher, dass Österreich ein Binnenstaat ist. Weltweit entscheiden sich 2 von 3 Reisenden für den Strand, denn das Meer spricht uns alle an. Geopsychologisch betrachtet, bietet uns das Meer eine besondere Projektionsfläche für Gefühle und Wünsche. So hat schon C. G. Jung festgestellt, dass die große Wassermasse in Träumen und Fantasien für das Unbewusste steht.
Aber auch gesundheitlich betrachtet ist die maritime Sehnsucht gut nachvollziehbar. Schließlich beobachten viele Ärzte, dass Patienten von einem Aufenthalt am Meer vitaler zurückkommen. Die intensive Sonne vertreibt saisonale Depressionen, die pollen- und staubarme Luft lässt uns als Allergiker durchatmen und das küstennahe Reizklima stimuliert unser Immunsystem.
Erholung für alle 5 Sinne
Dass Urlaub am Meer so erholsam ist, hat noch weitere Gründe. Denn das Meer ist der absolute Kontrast zum stressigen Alltag. Selten haben wir sonst Gelegenheit, etwas mit allen fünf Sinnen zu erleben. Während wir den salzigen Duft einatmen, genießen unsere Augen die unendliche Weite – vor allem als Stadtmenschen, die den Anblick dicht verbauter Gebiete gewohnt sind, gibt uns die plötzliche Sicht bis zum Horizont ein angenehmes Gefühl der Unendlichkeit. Auf einmal können die Gedanken wieder frei fließen, gleichzeitig wirkt das blau-grüne Lichtwellenspektrum des Meeres beruhigend, entkrampfend und stressmindernd auf uns. Und apropos Stress, hier kommt der nächste Sinn ins Spiel: Denn selbst wenn die tosenden Wellen den Geräuschpegel eines vorbeifahrenden LKWs erreichen können, nehmen wir sie nicht als Lärm wahr. Ihre Frequenz entspricht nämlich unserem eigenen ruhigen Atem-Rhythmus – und dieser gleichmäßige, natürliche Takt überträgt sich auf uns. Getrost überlassen wir es der riesigen, glitzernden Naturgewalt, das Tempo vorzugeben – und kommen uns selbst auf einmal winzig vor. Das gilt auch für unsere Sorgen und Ängste, die geradezu davon gespült werden, wenn wir im oder am Wasser sind. Schauen wir hinaus auf die Wellen, fällt es plötzlich ganz leicht, abzuschalten, loszulassen und das sonst oft peinigende Gedankenkarussell zu stoppen. Zum erdenden Effekt des Meeres trägt zu guter Letzt auch unser Tastsinn bei. Vor allem die Füße, sonst eingesperrt in Socken und Schuhen, genießen die ungeahnten Eindrücke, den warmen Sand unter sich zu spüren und von heranrollenden Wellen umspült zu werden. Durch diese ganz andere Körperwahrnehmung fühlen wir uns der Natur auch wieder stärker verbunden.
Unter dem Meer: verborgene Welt voller Leben
Unsere tiefe Verbundenheit mit dem Meer lässt sich vielleicht auch darauf zurückführen, dass das Leben an sich im Wasser entstanden ist. Von geschätzten 8,7 Mio. Arten auf der Erde entfallen 2,2 Mio. auf Meerestiere. Doch nur 12 % der Meerestiere sind Fische: Den größten Teil der Wasserbewohner stellen Meeresmikroben dar. Auch bestimmte Seevögel, z. B. Pinguine; Wasserschildkröten und Robben, deren Junge an Land zur Welt kommen, werden zu den Meerestieren gezählt. Und nur weil ihre Vorfahren einst vom Land wieder ins Wasser a u s g e w a n d e r t sind, gibt es heute Wale. Da die Ozeane durch Meeresströmungen verbunden sind, ist das Meer ein enorm großes, zusammenhängendes Ökosystem – mit ganz eigenen Gesetzen. Gelten an Land vor allem Sonnenenergie und Wasser als höchste Währung, dreht sich im Ozean alles um Nährstoffe, wie etwa Phosphor und Stickstoff . So kommt es, dass tropische Meere oft „blaue Wüsten“ sind, wohingegen raue Meere, in denen aufsteigende Meeresströmungen Nährstoffe liefern, besonders reiche Lebensräume bieten. Solche Strömungen ermöglichen z u d e m andere Lebensformen unter Wasser als an Land: festsitzende Tiere, die sich vom vorbeitreibenden Futter ernähren. Generell ist das marine Ökosystem aus vielschichtigen Nahrungsbeziehungen aufgebaut, sogenannten Nahrungsnetzen.
Die Basis bildet das aus Algen und Bakterien bestehende Phytoplankton. Zusammen mit dem Zooplankton (z. B. Krill) liefert es die Nahrungsgrundlage für Fische, Vögel und zahlreiche Meeressäugetiere. Dabei gilt: Je mehr Nährstoffe es im Wasser gibt, umso größer sind auch die dort lebenden Arten. Da alles zusammenhängt, beeinflussen Veränderung bei einer Art das gesamte Nahrungsnetz. Dabei wirken sich diese Effekte stets von unten nach oben aus.
Biologische Vielfalt: Bunte Unterwasser-WGs sind wichtig fürs Überleben und die Gesundheit der Meere.
Jeder nach seinem Geschmack: Was an Land schon mal für hitzige Diskussionen sorgt, ist unter Wasser die wichtigste Voraussetzung für Harmonie. Dass verschiedene Arten unterschiedliche Ansprüche haben, kommt allen zugute. So brauchen beispielsweise manche Algen viel Licht, andere bevorzugen Schwachlicht. Während nun die eine dem Licht entgegenwächst und, ähnlich wie Bäume, eine Algenkrone bildet, wächst die andere zufrieden im Schatten darunter. Beide Arten leben dadurch zusammen, ohne sich gegenseitig zu verdrängen, und können das Licht optimal ausnutzen. Diese komplementäre Nutzung der vorhandenen Ressourcen, auch Komplementaritätseffekt genannt, ist eine wichtige positive Eigenschaft der biologischen Vielfalt. Denn gemeinsam bilden die beiden Algenarten mehr Nahrung für andere als eine allein. Eine weitere, geradezu geniale Erfindung der marinen Wohngemeinschaften ist der Selektionseffekt: Natürliche Gemeinschaften setzen sich meist aus wenigen dominanten und vielen seltenen Arten zusammen. Bleiben die Umweltbedingungen stabil, übernehmen die einzelnen dominanten Arten häufig die Ökosystemleistungen. Ändern sich die Umweltbedingungen jedoch, kann eine zuvor unbedeutende Art das Ruder übernehmen und das Überleben aller weiterhin sichern.
Neben der Primärproduktion – der Herstellung von pflanzlicher Biomasse aus Sonnenlicht und Nährstoffen – zählt auch die Bildung von Lebensräumen zu den Leistungen, die ein Ökosystem erbringen kann. So formen Großalgen, Seegras oder Korallen großzügige Unterwasser-Wälder und -Wiesen oder Ri e, die Lebensraum für viele weitere Arten wie Schnecken, Krebse und Fische sind. Dabei sind Korallenriffe die größten, von Lebewesen geschaffenen Strukturen der Erde – das Great Barrier Reef vor Australien beispielsweise erstreckt sich über sagenhafte 2.300 Kilometer. Solche Korallenriffe bieten mehr Pflanzen- und Tierarten ein Zuhause als jeder andere Lebensraum. Die Schätzungen reichen von 500.000 bis zu 2 Millionen. Umso besorgniserregender ist der Klimawandel, der Korallenriffe weltweit gefährdet.
Korallenriffe in Gefahr
Mehr CO2 in der Atmosphäre führt dazu, dass sich Erde und Ozeane aufheizen. Da Meerwasser zusätzlich CO2 aufnimmt, verändert sich sein pH-Wert, es wird saurer. Für Korallen und Muscheln wird es zunehmend schwieriger, kalkhaltige Schalen bzw. Skelette auszubilden. Zudem kann die Symbiose mit den Algen, die den Korallen ihre prächtigen Farben verleihen, durch die steigenden Temperaturen zusammenbrechen. Die Algen werden ausgestoßen, übrig bleiben nur noch weiße Kalkgehäuse. Tritt diese sogenannte Korallenbleiche dauerhaft auf, kann das Ökosystem des gesamten Ri s nachhaltig zerstört werden
Meeresschutz ist Klimaschutz
Die Weltmeere sehen sich heute mit einer ganzen Reihe an Problemen konfrontiert: Die zunehmende Erwärmung, Versauerung und der Anstieg des Meeresspiegels verändern die Lebensräume. Während Treibhausgase, Gülle und Dünger, Plastikmüll und Ölverschmutzungen die marinen Ökosysteme zerstören, treibt die Überfischung die Abnahme der biologischen Vielfalt immer weiter voran. Dabei sollte jeder von uns Interesse daran haben, die Meere zu schützen. Denn das Klima auf der Erde wird von der Wechselwirkung zwischen Atmosphäre und Ozean bestimmt. Wasser speichert Wärme viel besser als Luft, daher wirken Ozeane temperaturausgleichend. Und dadurch, dass die Meere CO2 aufnehmen, haben sie bisher dem Klimawandel entgegengewirkt. Erwärmen sich die Meere hingegen weiterhin, können Wetterextreme wie Starkregen oder Wirbelstürme häufiger auftreten, auch Überflutungen drohen. Darüber hinaus könnte wärmeres Wasser die Ausbreitung von Krankheitserregern begünstigen, die auch für uns Menschen gefährlich werden.
Stopp für CO2 & Plastik
Nur wenn wir das ausgestoßene CO2 drastisch verringern, kann es gelingen, die Meere zu retten. Zusätzlich sollten wir Plastik einsparen, wo es nur geht, z. B. mit einer eigenen Trinkflasche im Urlaub, Stoffsackerln beim Einkaufen und fester Seife statt plastikverpacktem Duschgel. Haben wir Fisch auf unserem Speiseplan, so achten wir auf nachhaltige Fangmethoden oder ökologische Aquakulturen.